Am Zoll von Montenegro.

Wir fahren also nichts ahnend vor. Im Gegensatz zur Zollstation auf der Bosnischen Seite, die gross mit viel Stahl und hohem Dach gebaut, vor sich hin rostet,
finden wir hier eher so eine minimale Version vor. Montenegro ist ja auch ein kleines Land.
Ich freue mich diese Schwarzberge zu durchfahren.

Zwei Pässe unterschiedlicher Farbe, Autoausweis, grüne Karte, alles noch von vorher in der Hand, reiche ich diese Akten dem Zöllner. Der schaut sich alles gut an. Ich denke vielleicht hätte ich rasieren sollen und die Haare schneiden. Aber ich wollte das erst in Kreta tun. So symbolisch eben, als Abschluss einer langen Leidenszeit.
Den iranischen Pass schaut er etwas länger an. Kunststück, die schreiben ja von der anderen Seite her. Auch ihre Bücher und Zeitungen und so.

Meine woman need visa. No visa no going here. Das ist mal eine klare Ansage.
Kenne ich doch so Zeugs.
Null problemo, have much time we buy transit visa and pay cash.

One moment wait please here, i speek with scheff, meint er und verschwindet im Zollhaus.

Wir warten. Wir sind auch gerade die einzigen hier an der Zollstation bis auf drei Hunde die dauernd der einen Hündin nach geifern. Bei minus 5 Grad. Die kennen aber auch nichts.

Zwei Songs Gedudel später, vom lokalen Radiosender, kommt er wieder raus.
Sorgenvolles Gesicht. Wir möchten doch reinkommen in die Station.
Machen wir gern, wollte ich mir doch schon immer eine Zollstation in Montenegro von innen ansehen. Locationscouting heisst das in der Sprache der Filmer.

Wir schliessen den Bus ab und folgen dem Mann in die Zollstation wo zwei weitere Zöllner drin stecken. Ich kriege nasse Füsse vom Schneematsch, habe ich doch bloss so Plastiksandalen mit Lüftunslöchern an.

Einer hat nur noch einen Zahn. Er sitzt über ein grosses Journal gebeugt an einem der beiden Schreibtische. Der andere Zöllner schaut aus wie Omar Sharif so um die vierzig und steht neben dem, mit dem einen Zahn, der jetzt vom Journal zu uns hochschaut.
Es ist kalt wie in einer Hundehütte. Mir fällt sofort die grosse Kunststoffbox mit Kuchenstücken auf.
Das wäre jetzt doch ein netter Zug. So rein touristisch gesehen, das mit dem Kuchen von Mutti.
Ich würde den Kuchen natürlich wohlwollend beurteilen. Sofern er mir angeboten würde.

Ansonsten, ein uralter Computer mit Bildschirm, ein weiterer Computer ohne Bildschirm, ein paar Stempel, Unmengen an Papier auf beiden Schreibtischen und Schneematsch auf dem Holzboden.
Und ein Funkgerät mit Telefonhörer hängt an der Wand. Eine Kiste mit Werkzeug drunter. Genial. Ich freue mich schon auf die Visa Verhandlungen hier. Ein Fach mit Formularen kann ich grad noch nicht ausmachen. So wichtige Sachen wie Formulare sind ja auch nicht vorne im Büro.
Omar Sharif schaut blenden aus. Hergottsack, und das hier oben in den Bergen.
Omar zückt ein Smartphone, dirigiert auf einer App rum und macht Asudeh klar, der Iran gehöre nicht zum Schengenraum. Ich bin der Meinung, meine Frau gehöre zu mir und die Schweiz hätte freien Zutritt in den Schengenraum und wir seien eh auf der Durchreise und meine Frau hätte ja einen Aufenthaltsausweis für die Schweiz.
Zudem ist den Montenegro überhaupt schon im Schengenraum, also den Euro haben die ja schon. Und Schengen sei weit weg und so. Wir wollen Zeit gewinnen.

Und wenn schon. Wir würden dann eben ein Durchreisevisa beantragen. Nicht politisches Asyl, damit das schon mal klar sei.
Alle drei diskutieren, wir lächeln mal etwas, dann schauen wir mal ernst in die Runde dann wieder locker, nicken viel und so weiter.

Der mit dem einen Zahn ist der Zampano hier. So langsam verliert er die Geduld. Omar Sharif ist der Meinung, alles kein Problem, solle doch das iranische Mädel durchreisen, schliesslich hätte sie ja den Ausweis aus der Schweiz und die sei neutral und hätte doch Verträge mit der EU. Zumindest noch, denke ich haben wir noch Verträge.

Der dritte im Bunde muss wieder raus. Ein Personenwagen steht draussen und hupt. Wie aus dem Nichts tauchen zwei Lkw’s von der Montenegrinischen Seite auf.
Und drei weitere Personenwagen aus Bosnien stehen plötzlich auch an. Das sind schlechte Neuigkeiten.

Stresshormone werden jetzt ausgeschüttet. Der mit dem einen Zahn öffnet die Kiste mit den Kuchenstücken und wirft sich ein grosses Stück einfach so rein. Mund auf, Kuchen rein.
Naja, den mit dem abbeissen überspringt er. Zucker. Immer gut in solchen Situationen.
Zucker gilt hier oben noch was. Ich bin beeindruckt. Grosses Kino heute. Wirklich.
Sowas noch zu erleben, das ein paar Fahrstunden von der Schweiz aus, ist einfach grandios.
Besonders diese eine Handbewegung hin zur Kuchenschachtel und rein damit.
Das ist eben Stressbewältigung. Nicht so den wir geben uns jetzt alle die Hände Seminarkrempel von irgendwelchen langhaarigen Yogis gepredigt. Sein Weltbild entspricht meinem Weltbild. Problem Ursache, Lösung.

Wir sollen draussen warten, aber sofort und den Bus auf die Seite stellen. Nun, ich würde ja TwinsWerner gerne starten aber der hat eine kleine, nicht unbedeutende Eigenart. Sofort sammelt sich im Winter Kondenswasser im Auspufftopf an. Was heissen will, Motor starten, grosse Wolke zum Auspuff raus, eben gerade dort wo der dritte Zöllner jetzt steht. Ich versuche ihm klar zu machen einen Schritt vor oder zurück. Herrgott er versteht es nicht, und ich denke, fuck it.
Und starte die Maschine. Ich schaue nicht zurück. Ich will das nicht sehen.

Und so stehen wir also am Zoll dort oben in den Bergen und sehen den Hunden zu die hier ihren Schabernack treiben.
Und zwischendurch mal in den Rückspiegel um zu sehen ob sich im Zollhaus was tut. Tut es aber nicht. Ein weiterer Lkw kommt an. Leer, mit Schneeketten auf der Zugmaschine. Hoppla. Ich habe aber immerhin gute Reifen aufgezogen.

Ich suche einen anderen Sender im Radio. Das Balkangedudel geht mir langsam auf den Wecker. Sind nicht so meine Harmonien, daher stelle ich ganz ab.
Plötzlich startet ein Generator. Die brauchen Strom für das Funkgerät oder so. Jetzt funken sie sicher mit der Hauptstadt wegen uns. Die Armee ist in Bereitschaft.

Rechts, von wo wir stehen, hat es so Containerhäuschen, diverse Speditionen haben dort kleine Büros. Ich sehe Omar Sharif mit unseren Papieren in eines dieser Büros rein gehen.
Kommt auch bald wieder raus, mit zwei Kopien und unsern Pässen. Die haben offenbar ein Joint Venture zusammen. Generator laufen lassen, etwas heizen, kopieren, Generator wieder abstellen.

Ein vierter Zöllner taucht auf. Mit einer Schnapsnase dran. Sehr relaxed und irgendwie voll cool. Um die fünfzig. Hat schon vieles gesehen, nicht leicht zu beeindrucken. So Typ alter Hase.

Er würde jetzt gerne in unsere Kiste hinten am Bus, reinsehen.
Mir fällt das Herz in die Hose. Ich frage mich während ich nach hinten gehe, was hat Asudeh eigentlich alles mitgenommen. So in der Eile hatte ich gar nicht Zeit alles durchzusehen und ich kenne meine Frau.
Immerhin haben wir zwei riesige 5 Liter grosse Einmachgläser dabei und einen Pilz im Kühlschrank, gross wie die Handfläche von einem Schmied.
Um damit Tee zu machen. Soll gesund sein für die Verdauung. Kombucha Tee.

Meine Frau macht Schmuck. Dazu braucht sie eine Unmenge an so Steinen, Silberzeugs, Verschlüssen, Bronzeminiaturen, was auch immer. Kistchenenweise haben wir so Schmucksachen dabei. Ein paar Tausender kommen da locker zusammen. Alles hinten in der Holzkiste mit dem Vorhängeschloss!
Und alles in einem alten Reisekoffer verstaut. Der dient auch als Verkaufsstand.
Mit elektrischem Licht innen drin. Habe ich extra eingebaut. Macht was her die Beleuchtung.

Nicht dass die hier oben irgendwelche speziellen Importbestimmungen hätten. Wer weiss für wie lange der Diesel ausreicht um Strom zu liefern und alle Formulare auszufüllen.
Müssten dann halt alles von Hand im grossen Journal beim Chef eintragen.
Ich schliesse die grosse Kiste hinten auf, packe den Krempel aus.
Einmal Stromkabel, Lapp gelb, extra stark. Für Landstrom. Schleppe diese Kabel in aller
Welt rum und habe es noch nie gebraucht.
Es gibt auf der Welt nur noch eine Firma die gute Kabel herstellt, das ist Lapp.

Zweimal gelbe Keile zum drauffahren, einer leicht defekt, weiter ein iranischer Wüstengrill zusammenlegbar in einer Coop Tasche mit Holzkohle und Grillzange aus der DDR – Mädchen, in Kretea wird ja wohl jemand Holzkohle verkaufen.
Es gibt nur eine gute Grillzange auf der Welt, das ist das DDR Model.

Dann ein Skateboard gebraucht, besonders praktisch am Sandstrand, ein Filmstativ und die Foto-Zeitraffer-Schiene mit Steuerung und angebautem Schrittmotor.
Während ich letztere rausnehme bemerke ich erst jetzt, das Teil schaut ja aus wie eine kleine, mobile mini Raketenabschussrampe.
Und eben dieser Koffer. Mit all dem Zeugs drin. Die Halbedelsteine sind alle vorne im Wagen.

You love to look inside he?

Und wie er will. Nicht dass er uns was anhängen will, er ist einfach bloss neugierig.
Für ihn ist das ein alter Koffer, den Leute aus der reichen Schweiz rumschleppen, für uns ist das groovig.
So ist das eben in unserer schönen neuen Welt. Sein Bruder arbeitet in St. Gallen. Ich weiss wo das ist, das gehört noch zur Schweiz.

Ich schleppe den Koffer nach vorne in den Bus und lege ihn dort auf den Tisch.
Jetzt taucht Omar Sharif auf.
Asudeh öffnet den Koffer, alle schauen rein. Ich weg.

In gerade zwei Minuten hat Asudeh den beiden je ein Armband gegen ein Transitvisum verkauft, wir sind in weiteren fünf Minuten startklar, ich packe den ganzen Krempel wieder hinten in die Kiste. Es sind alle Stempel in den Pässen und wir fahren ab.
Es liegt eine wunderschöne Strecke vor uns. Und zwei Damen aus Montenegro werden ab heute zwei wirklich schöne Armbänder tragen. Eines mit Türkis Steinen, das andere mit dunklen Achat Steinen. Wunderschöne Dinger. Handgemacht von meiner wunderschönen Persischen Prinzessin. Ab sofort die Chefunterhändlerin in Transitsachen.

Ja, dann fuhren wir also durch Montenegro, um uns bald schon in Albanien mächtig zu verfahren. Weil wir dachten, die Hallwag Karte sei auf neuerem Stand. Oder so.